Mary Hunter Austin „Wo wenig Regen fällt“ (1903)

Mary Hunter Austin veröffentlichte 1903 vierzehn kurze Geschichten über Landschaft, Tiere und Menschen der Mojave-Wüste im Südwesten der USA. Sie hatte diese Region viele Jahre lang durchstreift und dann in nur wenigen Wochen die Texte für das Buch „Land of little rain“ geschrieben.
Schon das Vorwort ist eine eigene Geschichte. Es ist kein Vorwort eines Herausgebers oder sonstwie schlauen Menschen, es ist das Geleitwort der Autorin, die deutlich macht, wie sie ihr Schreiben versteht. Ich finde so etwa immer hilfreich. Vielleicht auch, weil ich es vom Technical Writing gewöhnt bin. Da ist es ganz selbstverständlich einem Text eine Art Gebrauchsanleitung in Form eines „Dieser Text ist gut für“ voranzustellen.

Sofort wird klar, hier schreibt jemand, der mit und in dieser Landschaft lebt. Kein Zaungast oder Durchreisender. Um so zu schreiben braucht es viele Jahre des eigenen Erlebens und die Bereitschaft sich auf Natur und Menschen einzulassen. Gleichzeitig sind gerade auch die Naturbeschreibungen teilweise die schwierigeren Texte. Die Sätze sind lang und verschlungen und gelegentlich bleibt unklar, von was sie eigentlich redet. Weil sie unbekannte Pflanzennamen einstreut oder bei einzelnen Worten gar nicht klar ist, ist das eine Pflanze, ein Mensch oder ein Ort. Und dann wieder Texte wie „Die Korbflechterin“, ein Text so wuchtig und dabei schlicht wie ein wummernder Kohleherd in der Küche.

Kapiteltitel wie „Bergstraßen“ oder „Ufersäume“ erinnern durchaus an John Muirs „Yosemite“ und die Aufteilungen in Bäume, Valley, Wasserfälle. Doch Hunters Inhalte sind vielfältiger als bei Muir. Es geht eben nicht nur um die Aufzählung und Kategorisierung von Bergstraßen, sondern auch um die Kiefern, das Wasser, die Akelei, die Silbertannen. Es erinnert eher an die noch kommende Nan Shepherd.

Mary Hunter Austin und John Muir
Immer wieder liegt der Vergleich zu John Muir nahe. Hunter Austin und Muir schreiben zu ähnlicher Zeit über Canyons und Wasserfälle in Kalifornien. Muir schreibt jedoch als Buchhalter, der Wasserfälle und Bäume sortiert wie Schrauben in einer Werkzeugkiste. Hunter Austin verknüpft die Dinge miteinander.
Während Mary Hunter Austin die Mojava-Wüste erkundete, lebte John Muir im Yosemite Valley, das 500 Kilometer nördlich ebenfalls in Kalifornien liegt. Mary Hunter Austin trifft in der Wüste mehr Menschen als John Muir im bereits touristisch erschlossenen Yosemite Nationalpark. Wo Muir mühsam einen Wasserfall nach dem anderen nach Höhe, Wassermenge, Eleganz und Beobachtungsmöglichkeiten charakterisiert, da trifft sie Menschen wie den Goldsucher und sagt in 5 Sätzen mehr über das Land und die Menschen als Muir nach 20 Wasserfällen. Mary Hunter Austin schreibt viel persönlicher. Sie ist mit der Landschaft und deren Wesen verbunden. John Muir ist im Gegensatz dazu eher ein Techniker.

Übersetzung
Im Laufe des Buches beginne ich mich an der Übersetzung zu reiben. Besonders bei den Naturbeschreibungen sind die ewiglangen Sätze mit ungewohntem Satzbau oder auch unbekannte Pflanzen und Ortsnamen eine Herausforderung. Hat Mary Hunter Austin wirklich so geschrieben? Sind ihre Sätze auch im Original so endlos und verschlungen und uneindeutig?
„Jeder Canyon empfiehlt sich wegen einer anderen vorzüglichen Eigenschaft. Dieser wegen seiner Kiefern, jener wegen der Forellen, ein anderer wegen der reinen, düsteren Schönheit seiner Granitpfeiler, ein anderer wiederum wegen seiner weitgespannten, irisierenden Wasserfälle. Und wie ich schon sagte, sind einige zwar wegsamer als andere, aber alle führen zu der wolkenstemmenden Zitadelle.“
Der ganze Absatz ist im Buch ein einziger Satz. Ich habe ihn provisorisch in drei Sätze aufgeteilt, ohne am restlichen Satzbau etwas zu ändern. Die Bandwurmsätze sind im Deutschen schwer lesbar. Da hätte ich mir eine Übersetzung oder auch ein Lektorat gewünscht, die nicht nur die Worte übersetzen, sondern den Text zugänglich machen. Ist es im Englischen auch so endlos aneinandergefügt? Wie klingt so ein Satz im Original? Wie nimmt ein englischsprachiger Leser dies wahr? Lässt sich das, was Mary Hunter Austin damit sagen will auf mehrere Sätze verteilen, ohne ihre Stimme unkenntlich werden zu lassen?
„Man muss tagelang unterwegs sein, um einen Eindruck von der Vielfalt des Landes der geselligen Sträucher zu bekommen. Diese bedecken vor allem die Terrassen und östlichen Hänge der Vorgebirge der Sierras – große Flächen mit Beifuß, Coelogyne und Schwarzdorn, die kein anderes Gewächs mit hölzernem Stamm in ihrer Nähe dulden; aber nur durch Auswahl, nicht durch Verdrängung; und alle diese verschiedenen Sträucher haben ihren Kreis aus blühenden Kräutern.“
Im gesamten Absatz geht es um Sträucher. Demnach sind auch Beifuß, Coelogyne und Schwarzdorn Sträucher. Beifuß ist jedoch ein einjähriges Kraut und Coelogyne wird in einer eigenen Anmerkung als Orchidee beschrieben. Das passt nicht zur erwähnten Vielfalt an Sträuchern. Kann es sein, dass Mary Hunter Austin andere Pflanzen vor Augen hatte? Wie werden die Pflanzen im Original benannt und welche Sträucher mit diesem Namen wachsen in Kalifornien?


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