John Muir „The Yosemite“ (1912)

All the world was before me and every day was a holiday / Die ganze Welt lag vor mir und jeder Tag war wie Ferien.
Was für ein Anfang!
Also da war so ein Typ, dessen ganzer Besitz bestand wohl in einer Pflanzenpresse. Alles andere war verbrannt, als das Sägewerk, für das er arbeitete, abfackelte. Und dieser Typ wollte nach Südamerika an den Amazonas laufen. Er hatte von einem anderen Typen und dessen Abenteuern gelesen. Deshalb wollte er auch dorthin. Einfach so. Zu Fuß von Florida aus. Unterwegs gab es dann ein paar Hindernisse und so entschied er, sich ersteinmal in Kalifornien umzusehen.

Nach einem ersten Versuch mit der deutschen Übersetzung und einem zweiten mit dem amerikanischen Original entscheide ich mich letztlich für das Hörbuch. Das Vorlesen macht den Text für mich leichter verständlich als das mühsame Lesen des amerikanischen Originals oder das flüssige Lesen der schlechten deutschen Übersetzung.
Das Buch hat zwei Hauptthemen, die den größten Teil des Buches prägen: Die Landschaft des Yosemite Valley und John Muirs Abenteuer und Erlebnisse. Gegen Ende des Buches geht es zusätzlich noch um Indianer* und den Schutz des Tales.

Landschaft
Nach all meinen Wanderungen ist der Blick vom Pachero-Pass noch immer das schönste, was ich gesehen habe.
Nach dem fulminanten Auftakt verläuft Muir sich in vielerlei Beschreibungen, welches Seitental wie viele Wasserfälle hat. An einigen Stellen erinnert es an eine Busfahrt für Touristen: „Zu Ihrer Linken sehen Sie nun den Wasserfall siebzehn bis zweiundzwanzig…“. Wenn die einzelnen Seitentäler und Wasserfälle und Berggipfel so detailliert aufgelistet werden, hätte ich mir eine Karte gewünscht, um auch als ortsfremder einen wirklichen Überblick zu bekommen.
Muir schreibt stellenweise sehr lyrisch und kann den Leser für eine Landschaft begeistern, die er nie noch nie gesehen hat. Über weite Teile verfällt er jedoch in eine stereotype Ausdrucksweise. Es gibt keinen Wasserfall oder Bach, der nicht „sein Lied singt“. Selbst die Stürme und Erdbeben stimmen in diesen Gesang mit ein.
Insgesamt ist Muir eher ein technischer und sehr systematischer Autor. Nach den großen Wasserfällen kommen die kleinen Wasserfälle. Dann geht es in gleicher Weise mit den Wäldern, den Bäumen, den großen Bäumen, den Blumen, den Vögeln weiter.
Muirs penibel exakte Beschreibungen der klimatischen Bedingungen und Ausbreitungsgebiete verschiedener Pflanzenarten sind ein Fenster in die Vergangenheit. Wie haben sich Vegetation und Wetter dort in den 100 Jahren seit dem Erscheinen des Buches verändert?
Einzig Menschen werden nicht erwähnt. Bereits 1879, und damit 30 Jahre vor Muirs Buch, wurde ein erstes Hotel für Touristen eröffnet. Dennoch kommen in Muirs Beschreibungen bis auf seltene Ausnahmen keine Menschen vor. Beim Lesen habe ich den Eindruck, Muir ist in dem menschenleeren Tal völlig auf sich alleine gestellt.

Abenteuer
Ich bin immer wieder überrascht, mit welcher fast kindlichen Entdeckungslust, Muir sommers wie winters auf, durch oder hinter Wasserfälle klettert und völlig durchnässt aber glücklich nach Hause zurückkehrt. Auch Anstrengungen, für die wir uns erst einmal vorbereiten würden, sind für Muir ganz normal. Oder vielleicht zur damaligen Zeit grundsätzlich selbstverständlich. Gerade mal in der Nacht ein paar Meilen laufen, um einen besonderen Anblick des Mondes zu genießen, war für ihn völlig normal.
Selbst Schneestürme sind für ihn „glorious events“, die er gerne und ohne zögern oder einer größeren Vorbereitung als eine Scheibe Brot einzustecken nutzt, um weitere Abenteuer zu erleben. Auch wenn er gelegentlich davor warnt diese Abenteuer nachzuahmen, werden sie nicht weniger leichtsinnig und gefährlich.
Der Höhepunkt seines Leichtsinns sind die begeisterten Berichte über die Reise auf einer Lawine sowie eine Klettertour während eines Erdbebens. Der Flug des biblischen Propheten Elias mit dem Feuerwagen könne kein großartigeres Erlebnis gewesen sein als seine Reise auf der Lawine, schwärmt Muir.
Für fünf Jahre lebt Muir im Yosemite. Es bleibt leider unklar, wie und von was er dort lebt. Hatte er eine Arbeit? Zumindest machte sein Lebensstil es ihm möglich, zu jeder beliebigen Tages- und Nachtzeit gerade mal eben ein paar Stunden zum nächsten Gipfel zu laufen, weil er dort eine besondere Wolke oder ähnliches beobachten will.

Die Vertreibung der Ureinwohner
Das Kapitel „Die frühe Geschichte des Yosemite“ ist ein absoluter Tiefpunkt in Muirs Buch. Für Muir beginnt die Geschichte des Yosemite mit den Goldgräbern, die 1850 dort ankommen. Die Goldgräber treffen auf Ureinwohner, die sich dagegen wehren, dass ihr Land besiedelt wird. Also müssen diese Ureinwohner doch vorher schon da gewesen sein. Haben die First Nations keine Geschichte?
Dass die First Nations entfernt werden, ist für Muir völlig selbstverständlich. Es kommt ihm nicht in den Sinn, dass Goldgräber und Siedler die Eindringlinge sind. Nachdem das Yosemite Valley zum Nationalpark wurde, werden allerdings auch die weißen Siedler enteignet.


 * Sowohl John Muir als auch die deutsche Übersetzung von 2021 verwenden den Begriff Indianer.


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